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Kohleabbau in Deutschland: „Niemand kann logisches Denken verbieten“

Grüne Energie wird eines der Hauptthemen des russisch-deutschen Rohstoffdialogs, der am 29. April beginnt. Maxim Vorona, Absolvent der Staatlichen Bergbau-Universität Sankt Petersburg und Top-Manager der Beratungsabteilung des deutschen Kohlebergbauunternehmens MIBRAG, sprach darüber, wie sich das Unternehmen angesichts der kohlenstoffarmen Wirtschaft optimieren kann.

Deutschland ist einer der führenden Handelspartner Russlands. Ende 2020 steht Deutschland in der Liste der russischen Handelspartner an zweiter Stelle mit einem Volumen von 41,9 Milliarden US-Dollar. Deutschland wird nur von China mit dessen Volumen in Höhe von 104 Milliarden US-Dollar übertroffen. Der bilaterale Kontakt zeigt trotz heutiger angespannter politischer Beziehungen weiterhin den gegenseitigen Respekt und das Interesse der Länder aneinander. Deutschland bleibt eine der dreigrößten Handelspartner Russlands schon seit vielen Jahren, was eine Reihe von Branchen und Tätigkeitsbereichen beeinflusst. Darunter sind Maschinenbau, Energie, Bildung und Wissenschaft.

"Ich wollte meine Karriere schon immer im Rohstoffsektor aufbauen. Mein Vater arbeitete als Chefingenieur einer Expedition, die Diamantvorkommen in der Region Archangelsk erforschte - die Kimberlit-Schlote Lomonosowskaja und Pomorskaja, das Grib-Vorkommen. In den Ferien nahm er mich oft mit. Als Halbwüchsiger habe ich gelernt, was geologische Erkundung ist, wie eine Bohranlage funktioniert und wie Bohrkerne gewonnen werden. Im Jahr 2002 wurde ich an der Staatlichen Bergbau-Universität Sankt Petersburg aufgenommen. Schon damals unterschied sich diese Universität durch Forschungslabors, eine hohe Rate von erwerbstätigen Absolventen und die Zusammenarbeit mit Unternehmen im Bereich Praktikum stark von anderen Universitäten. Dank dieser Faktoren und meiner eigenen Kenntnissen besetze ich heute meine Position", sagt Maxim Vorona.

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In seinem 5. Studienjahr nahm der junge Mann an einem Wettbewerb teil und bekam einen Platz für ein einjähriges Praktikum an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Heute ist akademischer Austausch eine gängige Praxis, aber damals gewann das vom Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation und vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gemeinsam finanzierte Programm nur allmählich an Dynamik. Ein Doktorand und ein Student wurden nach Sachsen geschickt, wo sie die Möglichkeit hatten, an der berühmten deutschen Universität zu studieren, den dortigen Studienprozess kennenzulernen und Material für eine Dissertation zu sammeln.

"Ich habe gesagt, dass ich mich mit Fräsmaschinen befassen möchte. Gleichzeitig konnte ich absolut kein Deutsch, nur Englisch. Ein halbes Jahr später rief mich Professor Carsten Drebenstedt, der uns Vorlesungen hielt. Er ist ein weltbekannter Wissenschaftler auf dem Gebiet des Tagebaus, der Vizerektor für wissenschaftliche Forschung an der Freiberg-Akademie damals war. Er bot mir die Möglichkeit an, Praktikum in der deutschen Firma Rheinkalk zu machen. Das Unternehmen gehört zur Unternehmensgruppe Lhoist, dem weltgrößten Hersteller von Kalk und Dolomit. Sie wollten auf explosionsfreie Rohstoffgewinnung umsteigen und zu diesem Zweck Fräsmaschinen in Betrieb nehmen. Drei Monate lang nahm ich an allen Tests im Tagebau teil und erstellte für den Kunden einen detaillierten Bericht mit technischen Daten und Rentabilitätsbewertung", erinnert sich daran Maxim Vorona.

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Der Aufenthalt in Europa verlängerte das Studium des jungen Mannes um ein Jahr. In Deutschland und in einer Reihe anderer Länder ist es gängige Praxis: Studenten und Doktoranden suchen gezielt nach langfristigem Praktikum, oft im Ausland, und machen es gerne, um Daten für wissenschaftliche Artikel zu relevanten Themen zu sammeln und zusätzliche Kompetenzen zu erwerben.

Solch ein langes Praktikum wird durch das deutsche Bildungssystem ermöglicht, das sich durch einen flexiblen Prüfungsplan auszeichnet. Junge Menschen können seinen Prüfungsplan selbst erstellen und die Prüfungstermine je nach Situation verschieben. Allerdings absolvieren viele Studierende erst im Alter von 26-27 Jahren ihr Masterstudium.

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Nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg absolvierte Maxim Vorona sein Masterstudium an der Bergbau-Universität und kehrte dann nach Freiberg zurück, um dort zu promovieren. Zu den Unternehmen, die ihn nach seinem Abschluss einstellen wollten, gehörte MIBRAG. Vor fast 10 Jahren übernahm wurde der Absolvent der Staatlichen Bergbau-Universität Sankt Petersburg Projektmanager in einer der Strukturen des Unternehmens – MIBRAG Consulting. Maxim Vorona ist derzeit stellvertretender Generaldirektor und Direktor für Bergbau.

MIBRAG ist spezialisiert auf die Gewinnung und Verarbeitung von Braunkohle. Das Unternehmen betreibt Tagebaue in Sachsen, beliefert mit Rohstoffen die Großkraftwerke in Lippendorf und Schkopau sowie industrielle Wärmekraftwerke in Mitteldeutschland. Die Firma gehört zum tschechischen Unternehmen EPH, das Strom aus Biomasse, Gas und Kohle erzeugt. EPH besitzt auch LEAG – den zweitgrößten Stromerzeuger in Deutschland.

"Als ich eingestellt wurde, brauchte das Unternehmen Menschen mit umfassendem Verständnis des Marktes – von der Struktur einer einzelnen Schicht bis zu Trends in der Weltwirtschaft. Heute besteht meine Hauptaufgabe darin, die Geschäftsentwicklungsstrategie zu formulieren und sie an politische und wirtschaftliche Veränderungen anzupassen. Die deutschen Unternehmen der EPH-Holding haben 8.500 Mitarbeiter – Bergleute und Mitarbeiter von Kraftwerken. MIBRAG ist einer der größten Arbeitgeber in Sachsen. Mit Rücksicht auf Deutschlands Entscheidung, aus der Kohleindustrie allmählich auszusteigen, soll man in der Energiewirtschaft sehr vorsichtig vorgehen, denn man besonders höhe Verantwortung für sein Handeln trägt", sagt Maxim Vorona.

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Es sei daran erinnert, dass in Deutschland die letzte Kohlenmine bereits 2018 geschlossen wurde. Es wurde auch ein Gesetz verabschiedet, wonach man bis 2038 auf Braunkohle vollständig verzichten muss.

"Mit der Zeit wird die Zahl der traditionellen Bergbauingenieure in Deutschland sinken, da Erschließung von Kohlevorkommen ihre Hauptbeschäftigung ist. Aber die Bergleute bleiben auf dem Markt weiterhin gefragt. Nur nicht so viele Spezialisten wie vor 10 Jahren. Erstens gibt es in Deutschland Kalkstein und Gips, und es wird die Möglichkeit betrachtet, Ablagerungen von Seltenerdmetallen zu erschließen. Zweitens benötigen Unternehmen, die in internationale Projekte investieren, immer ihre eigenen Spezialisten, die höchstwahrscheinlich mehrere hochqualifizierte Experten sind. Solche Spezialisten sollen aus dem Hauptsitz des Unternehmens in Deutschland die Gewinnung, die Verarbeitung und den Transport von Rohstoffen ins Ausland kontrollieren. Drittens studieren viele Menschen in Deutschland, aber arbeiten danach beispielsweise in Australien oder Kanada", sagt Maxim Vorona.

Es stellt sich die Frage: wohin gehen die Spezialisten, die gestern in Minen, Tagebauen, Verarbeitungsbetrieben und Kraftwerken arbeiteten? Es besteht die Gefahr, dass ganze Regionen, wo Bergbauunternehmen die Hauptarbeitgeber war, in Verfall geraten.

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"Zum Beispiel hat MIBRAG diesen Monat angekündigt, die Produktion im industriellen Wärmekraftwerk Deuben bis Ende 2021 einzustellen. Infolgedessen ist ein sozialverträglicher Abbau von rund 400 Arbeitsplätzen geplant. Das Unternehmen wird Mitarbeiter über 58 Jahren entlassen, die schon mehrere Jahre arbeiten müssen, bevor sie in Rente gehen. Diese Angestellten werden deshalb dafür entschädigt", erklärt Direktor für Bergbau in MIBRAG Consulting.

Diejenigen, die unterhalb dieser Altersgrenze sind, werden alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Unternehmensstrukturen angeboten. Also stellen diese Firmen Menschen über 58 Jahre ein, die von Wärmekraftwerken entlassen werden, aber auch hier gehen sie früher als geplant in Rente.

Während Kraftwerksmitarbeiter - Elektriker, Mechaniker, Automatisierungsspezialisten - überall gefragt werden, ist Bergbau eine engere Spezialisierung.

"Wir schließen die Kraftwerke nicht von heute auf morgen, sondern in 15-17 Jahren. Darüber hinaus bedeutet die Einstellung des Kohlebergbaus und der Erzeugung von Kohleenergie nicht, dass der Tagebau und das Kraftwerk einfach verschlossen werden können. Das Land muss rekultiviert werden, was noch einige Jahre dauern wird. Es ist für uns gängige Praxis, stillgelegte Tagebaue mit Wasser zu füllen und dann Immobilien an den Seeufern zu bauen. Heute werden an der Stelle der Deponien Parks mit Windgeneratoren und Sonnenkollektoren gebaut. Dabei wird es auch ermöglicht, das Unternehmen umzustrukturieren. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass der Verzicht auf Kohle gemäß dem von der Regierung erstellten Plan durchgeführt wird", sagt Maxim Vorona.

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Die Frist für den Verzicht auf Kohle ist bestimmt – 2038. Gleichzeitig haben die Behörden auf dem Weg der Energiewende die Termine festgelegt, wonach die Kommission zusammentritt und die Schlusstermine für jedes Wärmekraftwerk überarbeitet. Im Durchschnitt soll die Kommission alle 2-3 Jahre tagen.

"In Deutschland wird weiter über die Zweckmäßigkeit des vollständigen Verzichts auf Kohle diskutiert. Meiner Meinung nach können wir über die Überschätzung unserer Fähigkeiten im Hinblick auf die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen sprechen. Wasser, Luft, Sonne kann man nicht beeinflussen. Während Kernkraftwerke immer voll ausgelastet sind, ermöglichen es Gas- und Kohlekraftwerken, sowohl Spitzenwerte des Energieverbrauchs zu erreichen als auch bei Bedarf der Stromverbrauch zu senken. Wenn die Anhänger von "grüner Energie" darauf hinweisen, dass auch erneuerbaren Energiequellen einen hohen Anteil an der Energie produzieren, vergessen sie, dass dies von Wärmekraftwerken ermöglicht wird. Zu diesem Zeitpunkt reduzieren wir die Stromerzeugung, aber wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, muss man Wärmekraftwerke zu 100% einsetzen. So war es Anfang 2021. Was passiert, wenn wir nicht da sind?! Es ist sehr wichtig, auf die Natur zu achten, aber niemand kann es verbieten, logisch zu denken. Auf dem Planeten leben 8 Milliarden Menschen, und sie alle brauchen immer mehr Energie. Deswegen sollen wir mit dem Anstieg des Energieverbrauchs rechnen. Es wird im Jahre 2022 klar sein, wenn Deutschland Kernkraftwerke und einige Kohlekraftwerke schließt. Im Jahre 2020 machten sie 20% des Stroms aus. Aber schon jetzt kann ich sagen, dass es nicht möglich sein wird, auf nicht erneuerbare Energiequellen vollständig zu verzichten. Mindestens nicht in den kommenden Jahrzehnten", sagt Maxim Vorona.

Ende 2020 wurde die Elektrizität in Deutschland folgendermaßen nach Ressourcen verteilt: 50% bildete erneuerbare Energien, 50% machte fossile Brennstoffe aus. Im Januar 2021 wurden folgende Werte erreicht: 37% der Elektrizität produzierte erneuerbare Energiequellen, und 63% erzeugte fossile Brennstoffe.

Heute kommt der Top-Manager von MIBRAG ziemlich selten nach Russland, aber seit 2014 besucht er traditionell St. Petersburg im Rahmen des russisch-deutschen Rohstoffdialogs.