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Auf den spuren alexander von humboldts: die expedition des deutschen geographen wird in russland 190 jahre nach seinem tod wiederholt

Diese Geschichte begann vor zweihundert Jahren. Der Finanzminister des jungen russischen Zaren Nikolaus I. wurde informiert, dass im Ural eine sehr reiche Platinlagerstätte erschlossen wurde. Niemand wusste, was man damit machen sollte, deswegen hat man aus dem abgebauten Platin zuerst Schrot hergestellt. Bald darauf hat man beschlossen, Münzen daraus zu prägen. Egor Kankrin bat den berühmtesten Gelehrten jener Zeit Alexander von Humboldt, diese Idee zu bewerten. Es war die Zeit, als Russland mit der Krise der Vertaubung und Erschöpfung der Lagerstätten konfrontiert wurde. Deswegen wurde der Naturforscher Humboldt auch gebeten, auf Staatskosten den Zustand des Rohstoffkomplexes des Russischen Reiches zu untersuchen.

Nun hat eine Gruppe der Wissenschaftler aus Deutschland und Russland beschlossen, die Route des Geographen und Naturforschers zu wiederholen, dessen Weg aus Berlin bis nach St. Petersburg und Moskau und weiter an der Wolga bis Kasan, dann durch den Ural, durch Sibirien und zurück nach Deutschland über das Kaspische Meer führte. Die deutschen Mineralogen aus der Freiberger Bergakademie und ihre russischen Kollegen von der Bergbauuniversität werden im Rahmen des Programms „Das lebende Erbe Alexander von Humboldts“ drei Wochen lang im Juni 2019 auf den Spuren Humboldts unterwegs sein. Sie werden in verschiedenen Städten Vorträge halten und Dokumentarfilme drehen, welche später während der feierlichen Maßnahmen gezeigt werden, die an das 250jährige Jubiläum des Gelehrten angeknüpft sind. Das Jubiläum wird im September 2019 begangen und ist Teil des Programms des deutsch-russischen Kreuzjahres des Wissenschafts- und Hochschulaustausches. Einer der Exkursionsteilnehmer und Humboldt-Biograph Dr. Ferdinand Damaschun ist Mineraloge, Leiter des Ausstellungsdepartments und ehemaliger Stellvertreter des Generaldirektors des Museums für Naturkunde in Berlin, in welchem die von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Stufen aufbewahrt werden. Dr. Damaschun hat dem Berichterstatter der Zeitschrift „Vorposten“ darüber erzählt, welche Hoffnungen er mit dieser Reise verbindet.

Доктор Дамащун
© Форпост Северо-Запад

- Was ist das wissenschaftliche Ziel der Expedition „Auf den Spuren Alexander von Humboldts“?

- Es gibt eine ganze Reihe von Zielen. Vorrangig für mich ist das Ziel, die Kooperation zwischen den russischen und deutschen Geologen zu fördern und zu festigen und dabei Humboldt als Bindeglied und Mittler zwischen unseren Spezialisten zu benutzen. In unserer Zeit, die leider durch nicht die besten Beziehungen gekennzeichnet ist, möchten wir einen Akzent darauf setzen, dass sie historische Wurzeln haben und besser sein können. Es hat schon solche Zeiten gegeben, zu denen sie besser waren. Und natürlich möchten wir die Stationen sehen, wo Humboldt gearbeitet hat.

Alexander von Humboldt erklärte „die Erforschung der Natur als ein Ganzes und das Sammeln der Beweise von dem Zusammenwirken der Naturkräfte“ zu seiner Lebensaufgabe. Die Zeitgenossen nannten ihn Aristoteles des 19. Jahrhunderts. Er hat etliche wissenschaftliche Disziplinen etabliert, u.a. die Physiogeographie, die Landschaftskunde und die ökologische Pflanzengeographie. Die Studien des deutschen Geographen lieferten auch einen Beitrag für ein besseres Verständnis des Erdmagnetismus.

In seinem Leben hat Humboldt Holland, England, Frankreich, Österreich, die Schweiz, Spanien, Zentral- und Südamerika und andere Länder besucht.

- An der Expedition nehmen nicht nur die Mitarbeiter der Freiberger Bergakademie teil, sondern auch ihre Kollegen von der Bergbauuniversität. Heißt das, dass das nicht nur eine geistbildende sondern auch eine wissenschaftliche Reise sein wird?

- Ja, selbstverständlich. Es muss erwähnt werden, dass Humboldts Arbeit eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Mineralogie hatte. Im Museum für Naturkunde in Berlin ist eine der wichtigsten Expositionen die mineralogische Sammlung des Museums. Den Kern dieser Sammlung bilden die Funde, die Humboldt von seiner Russlandreise mitgebracht hat. Damit arbeiten seit fast zweihundert Jahren die deutschen Wissenschaftler. Ein besonderes Interesse stellt der heutige geologische Zustand des Gesteins dar, aus welchem sie abgebaut wurden.

Минеральная коллекция
© Форпост Северо-Запад

- Welche Städte stehen auf dem Programm? Hat man vor, haargenau der Reiseroute von Humboldt zu folgen und seinen Spuren nachzugehen oder sind Abweichungen von der Route vorgesehen?

- Auf der Liste stehen nicht alle Städte, die Humboldt besucht hat. Aber es sind auch einige dazu gekommen, in denen er nie gewesen ist. Ein Highlight für uns ist z.B. die Stadt Tobolsk. Der ursprüngliche Plan war, dass Humboldt nur bis zum Ural kommt. Damals war Tobolsk aber eines der wichtigsten wissenschaftlichen Zentren Sibiriens, dort befand sich sogar eine Universität.

Eine der Aufgaben des deutschen Naturwissenschaftlers war das Netzwerk des Erdmagnetismus. Er hegte die Hoffnung, in Tobolsk eine Beobachtungsstation über den Erdmagnetismus zu gründen, und so war es dann auch. Deswegen wollte er unbedingt nach Tobolsk kommen.

1829 hat Humboldt eine offizielle Einladung nach Russland erhalten, damit er „im Interesse der Wissenschaft und des Landes“ die Erzlagerstätten des Urals untersucht. Die Reise wurde vom Staat finanziert und der Gelehrte machte sich auf den Weg in Gesellschaft von Gustav Rose und Christian Gottfried Ehrenberg. Rose führte das Tagebuch der ganzen Reise und beschäftigte sich mit mineralogischen Studien und Ehrenberg – mit der Vervollständigung von zoologischen und botanischen Sammlungen. Humboldt selbst beobachtete den Erdmagnetismus und befasste sich mit der astronomischen Ortsbestimmung, mit geologischen und geographischen Studien. Die Reiseroute verlief über St. Petersburg – MoskauWladimirNischni Nowgorod KasanJekaterinburgPerm. Im Mittleren Ural haben die Forscher einige Wochen verbracht, während sie sich Eisen-, Gold-, Platin- sowie Malachitlagerstätten angeschaut haben. Der weitere Weg führte sie über Tobolsk, Barnaul, Semipalatinsk, Omsk und Miass. Im Südural hat Humboldt solche Städte wie Slatoust, Kitschimsk, Orsk und Orenburg besucht.

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Die Reisenden haben von dem sogenannten Militärkommandanten Sibiriens die Genehmigung zu einer Altai-Reise bekommen. Dort war alter Goldabbau, d.h. auf dem Territorium der Alten Welt befanden sich die ältesten Goldgruben. Wenn man einen Blick auf die Landkarte wirft, sieht man, dass Barnaul das Zentrum des Festlands bildet, denn es gibt keinen anderen Ort auf der Erde, der sich abstandsgleich von allen Meeren und Ozeanen der Welt befand. Mit anderen Worten ist es das geographische Zentrum der kontinentalen Erdoberfläche.

Ein weiterer großer Traum von Humboldt war der Besuch Zentralasiens, der aber leider nie verwirklicht wurde. Wenn wir aber an Altai denken, können wir sagen, dass Humboldt Zentralasien fast erreicht hat. Sein Weg zurück verlief durch das kasachische Territorium, er fuhr über Semipalatinsk und Ridder und auf solche Weise weilte er auch im Ural. Über Semipalatinsk fuhr er in den Südural und von dort aus immer flussaufwärts weiter an der Wolga entlang. Auch wenn wir uns heute diese Entfernungen anschauen, scheint es einfach unmöglich zu sein – 15.000 Kilometer in fast acht Monaten. Dabei war Humboldt nicht mehr so jung, er war Mitte sechzig und einer sehr großen täglichen Belastung ausgesetzt – durchschnittlich 70 Kilometer pro Tag mit dem Pferd. Tagsüber arbeitete man und nachts ritt man weiter.

Humboldt war der erste, der die Kennzeichen der geologischen Permformation im Westural entdeckt hatte. Dort entdeckte er auch Hinweise auf diamantenführende Gesteine und erste Diamantenkristalle. Viele Jahre hat der Gelehrte im Nachhinein dafür gebraucht, um das in Russland gesammelte Material zu bearbeiten. Erste Resultate veröffentlichte er in zwei Werken: „Über Gebirgsketten und Vulkane in Asien und von einem neuen Vulkanausbruch in den Anden“ und „Über die Menge des in Russland abgebauten Goldes“.

Изумруд
© Форпост Северо-Запад

Es war eine staatliche Exkursion, die militärische Infrastruktur wurde zu Nutzen der Expedition zur Verfügung gestellt. Humboldt wurde überall unterwegs als General aufgenommen, obwohl er nicht dem Militär angehörte. Mit ihm zusammen reisten der bekannte Mineraloge und Kristallograph Gustav Rose, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften, Naturwissenschaftler und Biologe Christian Ehrenberg, der Putzer und Bursche Johann Seifert, der russische Bergbauarbeiter Nikolai Menschenin und ein Koch. Einen eigenen Kutscher hatten sie nicht, sie bekamen immer einen, wenn sie ihre Pferde wechselten.

- Welche Maßnahmen werden im Rahmen der wissenschaftlichen Expedition geplant? Sind z.B. Pressekonferenzen oder Aufstellung von Erinnerungstafeln vorgesehen?

- Wir werden mineralogische Sammlungen untersuchen, örtliche Spezialisten kennenlernen, und uns an etlichen Konferenzen beteiligen. Eine davon findet in St. Petersburg statt, die andere in Oms, wo wir über den Beitrag Humboldts zur Weltwissenschaft vortragen möchten. Ich mache auch einen Vortrag über Humboldt, über seine Bedeutung als Mineraloge und Sammler von Stufen und Mineralen.

Während seines Aufenthalts im Südural wurde der deutsche Reisende auf das ungeordnete und ungeregelte Verhalten der Kompassnadel aufmerksam. Diesen Kompass hat er als Geschenk in Ust-Kamenogorsk bekommen. Humboldt vermutete, dass die Unbeständigkeit der Magnetnadel sich dadurch erklären ließ, dass im Erdinneren Eisenerze lagern. Seine Vermutungen wurden bestätigt und unter anderem ist Humboldt als Erstentdecker der physischen Methode der geologischen Erkundung in die Geschichte eingegangen.

Den Ural verlassend schrieb der deutsche Geograph in einem Brief an den russischen Minister Kankrin, dass in Gold- und Platinlagerstätten von Ural später Diamanten gefunden werden. Und wieder war seine Annahme richtig bald darauf wurde ihm mitgeteilt, dass nicht weit von Miass drei Diamanten gefunden wurden.

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- Kann man sagen, dass Humboldt dieselbe Bedeutung für die deutsche Wissenschaft wie Michail Lomonossow für die russische hat?

- Ich finde diesen Vergleich nicht sehr gelungen. Dann müssen wir auch z.B. an Einstein denken. Für mich verkörpert Humboldt die Vorstellung von einem Wissenschaftler, der die Natur und die Welt beschreibt. Er hat uns gezeigt, dass man alle Naturphänomene nicht einzeln beschreiben, sondern in ihren Zusammenhängen analysieren muss. Er hat wesentlich zur Beschreibung und Erforschung des Bergbaus in Russland beigetragen. Aber als Humboldt dort war, befand sich der russische Bergbau im Krisenzustand. Alle großen Vorkommen wurden bereits abgebaut und man musste langsam anfangen, geringwertige Erze abzubauen. Dafür aber brauchte man erfahrene Spezialisten und Bergleute. Das Russland der damaligen Zeit hatte weder solche Spezialisten, noch die Leute, welche die Oberaufsicht im Bergbau durchführen konnten. Zum Teil haben im Bergbau noch Leibeigene gearbeitet.

Bei uns im Erzgebirge war schon damals ein sehr hohes Niveau der Produktionswirtschaft. In Sachsen gab es zu der Zeit eine Sozial-, Gesundheits- und Rentenversicherung der Mitarbeiter. Große Fundstücke von Gold kann eigentlich jeder finden, aber die Erschließung und den Abbau von erschöpften Lagerstätten zu organisieren, ist ein aufwändiger und komplizierter Prozess. Dass in Russland die Lage im Bergbau sich langsam zum Besten gewendet hat und man den Fortschritt erzielen konnte, ist unter anderem auch Alexander von Humboldt zu verdanken.

Бюст
© Форпост Северо-Запад

Die Gedanken und Schlussfolgerungen der Teilnehmer der russischen Expedition wurden im Werk „Zentralasien“ festgehalten. Das war der erste Schritt zur Untersuchung der Reliefgestaltung in der Region und die Basis für die späteren Studien. In drei Bänden finden sich geologische und orographische Studien, sowie die Resultate der Klimaforschung eines riesigen Erdteils.

Seit Herbst 1834 und bis zu seinem Tode arbeitete Humboldt an dem Hauptwerk seines Lebens „Kosmos: Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“. Diese Arbeit stellte ein wissenschaftliches Modell des physischen Erdbaus dar, das auf den Ergebnissen seiner Forschungsarbeiten beruhte.

- In Deutschland sind die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt gut bekannt. In Russland weiß man leider wenig von den beiden. Wie ist Ihre Meinung, könnte diese Expedition das Interesse an dem Namen und dem wissenschaftlichen Erbe des deutschen Geographen wieder beleben?

- Ich denke und ich hoffe, dass diese Expedition zur Popularisierung seines Namens beitragen wird. Diese Reise gibt uns eine neue Richtung für die weitere Entwicklung und rüstet uns mit neuen Hoffnungen auf, denn Humboldt kam nach Russland nicht auf eigene Initiative, sondern er wurde offiziell eingeladen, und diese Einladung bekam er aus der Oberschicht. Und das Werk von Rose über den Bergbau in der Altai-Region ist eine wichtige wissenschaftliche Arbeit, die auch heute benutzt wird. Deutsch war neben Französisch auch lange Zeit die Sprache der Wissenschaft in Russland. Eines der wichtigsten Bücher über Mineralogie in Russland wurde in der deutschen Sprache verfasst.

Die Russen wussten auch damals, dass Russisch eine wenig bekannte Sprache in der Welt ist. Deswegen verbrachten die russischen Wissenschaftler oft nach ihrem Studiumsabschluss in Russland eine Zeit lang im Ausland zur Fachweiterbildung oder machten dort ein Aufbaustudium. Viele, wie z.B. die russischen Mineralogen Ewgraf Fjodorow oder Nikolai Kokscharow, lebten und arbeiteten danach in Deutschland.

Zu Ehren Alexander von Humboldts wurden Berge und Gebirgsketten im Nordamerika, China, Australien, Neuguinea, Neuseeland genannt. Im südlichen Teil des Nordurals befindet sich auch ein Humboldt-Berg. Eine ganze Reihe von Namen, die auch zu Ehren Humboldts verliehen wurden, ist in der Tierwelt und im Pflanzenreich anzutreffen: so verweist z.B. das Pflanzenverzeichnis Index Kewensis, das von 1893 bis 2002 von den Royal Botanic Gardens in Kew (England) herausgegeben wurde, auf 321 Pflanzenarten, die nach Humboldt benannt wurden.

- Haben Sie vor, auf Basis Ihres Museums ähnliche Popularisierungszentren für Humboldt im Westsibirien zu gründen?

- Ich kann zulassen, dass unsere Expedition ein solches kleines Korn sein wird, von dem die Strahlung nach außen geht. Ich sehe jetzt, wie die Kooperation zwischen Freiberg und die Bergbauuniversität von St. Petersburg läuft, und kann sagen, dass es nicht einfach wissenschaftlicher Tourismus ist, sondern es ist tatsächlich eine ernsthafte und intensive Zusammenarbeit.

- Was ist Ihre persönliche größte Erwartung von der bevorstehenden Reise?

- Na ja, drei Wochen ist keine lange Zeit, um eine Entdeckung vom Weltmaßstab machen zu können, aber es könnte sicher der Auftakt für unsere weiteren Studien, Recherchen und kooperative Arbeit sein. Ich bin sehr gespannt darauf, wem ich auf dem Weg begegne.

Ich bin jetzt hauptsächlich als Wissenschaftshistoriker tätig und die Hauptidee dieser Branche lautet: Um zu wissen, wo man ankommen will, muss man zuerst wissen, woher man kommt und wo der Ausgangspunkt war. Wenn wir das Ganze von dieser Seite betrachten, wird die Wissenschaftsgeschichte zu einem sehr aktuellen Wissenschaftspart.

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Vorposten“ wird auch weiterhin alle Etappen der bevorstehenden Exkursion verfolgen und Reportagen und Videos unseres Sonderberichterstatters vor Ort mit interessantesten Lebens- und Arbeitsmomenten der Teilnehmer veröffentlichen.